BFH II. Senat
ErbStG § 7 Abs 1 Nr 8 , ErbStG § 15 Abs 2 S 1 , ErbStG § 16 , BGB § 80 , BGB § 82 S 2 , ZPO § 580 , FGO § 96 Abs 1 S 2 , FGO § 100 Abs 1 S 1 , FGO § 110 Abs 1 S 1
vorgehend FG Münster, 18. Mai 2017, Az: 3 K 3247/17 Erb
Leitsätze
1. Hat das FG in einem rechtskräftigen Urteil einen Schenkungsteuerbescheid mit der Begründung aufgehoben, der vom Finanzamt besteuerte Erwerb sei weder für den im Bescheid genannten Zeitpunkt noch für einen späteren Zeitpunkt feststellbar, steht die Rechtskraft des Urteils einer erneuten Besteuerung dieses Erwerbs entgegen.
2. Eine nach dem FG-Urteil von den Beteiligten des Erwerbsvorgangs erstellte schriftliche Bestätigung des Erwerbs für den im aufgehobenen Bescheid genannten Zeitpunkt rechtfertigt nicht den Erlass eines neuen Steuerbescheids.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 18.05.2017 - 3 K 3247/15 Erb, der Schenkungsteuerbescheid vom 22.06.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 14.09.2015 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
Durch notarielle Urkunde vom 13.08.2008 errichtete A als Stifterin die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine inländische Stiftung. Erster Vorstand wurden die Stifterin und ihr Ehemann. Stiftungszweck ist die Förderung und Unterstützung der Familienmitglieder. Begünstigte waren zunächst die Stifterin, ihr Ehemann und ihre Tochter. Für den Fall der Geburt weiterer leiblicher Abkömmlinge der Stifterin war eine nach Generationen gestaffelte Begünstigung vorgesehen. Als Anfangsvermögen sicherte die Stifterin der Klägerin Aktien der TU AG zu. Am 05.11.2008 stimmten der Vorstand und der Aufsichtsrat der TU AG der Abtretung der Aktien mit Wirkung zum 01.11.2008 zu. Die zuständige Bezirksregierung erkannte die Klägerin am 28.07.2009 nach § 80 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) an.
Am 21.11.2008 gab die Klägerin im Hinblick auf einen Erwerb der Aktien bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eine Schenkungsteuererklärung ab. Als Verwandtschaftsverhältnis zur Schenkerin war "Tochter" angegeben.
Das FA hatte darauf mit dem --hier nicht streitgegenständlichen-- Bescheid vom 12.01.2011 Schenkungsteuer auf den Stichtag 13.08.2008 festgesetzt. Es hatte dabei den Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes i.d.F. des Steuer-Euroglättungsgesetzes vom 19.12.2000 (BGBl I 2000, 1790 --ErbStG 2008--) für die übrigen Personen der Steuerklasse I in Höhe von 51.200 € berücksichtigt. Mit Einspruch und Klage hatte die Klägerin den Ansatz des für die Tochter maßgebenden Freibetrages in Höhe von 205.000 € nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 2008 begehrt. Während des damaligen Klageverfahrens hatte die Klägerin erklärt, die Parteien seien von einer konkludent im Rahmen des Stiftungsgeschäfts stattgefundenen Abtretung der Aktien spätestens auf den 13.08.2008 ausgegangen.
Das Finanzgericht (FG), dem die Satzungen der Klägerin und der TU AG sowie die Beschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats vorgelegen hatten, hob mit Urteil vom 11.11.2014 - 3 K 984/12 Erb den Bescheid auf. Die Entscheidungsgründe lauteten im Wesentlichen wie folgt:
"Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig, weil zum Stichtag 13.08.2008 das Aktienvermögen noch nicht auf die Klägerin übertragen worden ist. Die Formulierung in der Stiftungsurkunde beinhaltet nur die Zusage der Aktienübertragung, nicht dagegen die Aktienübertragung selbst. [...]
Soweit die Klägerin darauf hinweist, dass es sich bei den zugesagten Aktien [...] um unverbriefte Aktien handele und dass deshalb für die Übertragung deren Abtretung ausreiche, hält der Senat das für zutreffend [...].
Jedoch ist ein Abtretungsgeschäft weder für den 13.08.2008, was auch unter den Beteiligten unstreitig ist, noch für einen anderen Zeitpunkt feststellbar. Auch wenn in den Genehmigungserklärungen des Aufsichtsrats und des Vorstands auf eine Übertragung der Aktien mit Wirkung vom 01.11.2008 Bezug genommen wird, fehlt es --insbesondere mangels jeglicher schriftlicher Dokumentationen-- an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass entsprechende Abtretungserklärungen dieses Inhalts tatsächlich abgegeben worden sind. Allein die Tatsache, dass die beteiligten Personen, vor allem die Stifterin, davon ausgegangen sind, eine Abtretung sei formlos möglich und damit auch erfolgt, reicht für die Überzeugungsbildung des Senats von einer tatsächlich erfolgten Abtretung nicht aus.
Da bereits eine Abtretung nicht feststellbar ist, sind auch die Voraussetzungen des § 82 Satz 2 BGB für einen Vermögensübergang ipso iure nicht erfüllt. Der angefochtene Bescheid war deshalb aufzuheben."
Das FA hob den Bescheid vom 12.01.2011 seinerseits am 21.01.2015 auf.
Da das FG sich zu der materiell-rechtlichen Rechtsfrage, ob für die Bestimmung der Steuerklasse nur auf bereits lebende Bezugsberechtigte abzustellen sei, nicht geäußert hatte, kamen die Beteiligten überein, dass die mündliche Abtretung nachträglich schriftlich fixiert werde und ein neuer Bescheid ergehe.
Am 05.06.2015 ging bei dem FA ein Dokument vom 05.02.2015 ein, in dem die Stifterin und die Klägerin (vertreten durch die Stifterin und ihren Ehemann) unter einer "Präambel" bekundeten, sie seien sich einig, dass die Abtretung der Aktien mündlich unter dem 01.11.2008 erfolgt sei. Den Inhalt der mündlichen Abtretungserklärung gäben sie aus Klarstellungsgründen schriftlich wieder. Sodann folgt eine "Abtretungserklärung" des Inhalts, dass die Stifterin auf der Grundlage der Beschlüsse des Vorstandes und des Aufsichtsrates der TU AG vom 05.11.2008 und in Vollziehung des Stiftungsgeschäfts vom 13.08.2008, Aktien an der TU AG an die Klägerin abtrete.
Mit Bescheid vom 22.06.2015 setzte das FA für den Erwerb der Klägerin aus der Schenkung der Stifterin vom 05.11.2008 Schenkungsteuer in Höhe von … € fest. Im Übrigen entsprach der Bescheid inhaltlich dem aufgehobenen Bescheid. Mit Einspruch und Klage machte die Klägerin geltend, für die Ermittlung des entferntest Berechtigten u.a. für Zwecke der Freibeträge i.S. von § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008 i.V.m. § 16 ErbStG 2008 sei nur auf einen im Zeitpunkt der Stiftungserrichtung bereits lebenden Destinatär abzustellen. Das FG hat die Klage abgewiesen. Berechtigter könne jeder sein, der Vermögensvorteile erlangen könne, auch wenn die Bezugsberechtigung in diesem Sinne erst in der Generationenfolge eintrete. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1208 veröffentlicht.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die noch nicht geborenen Abkömmlinge zählten nicht zu den für die Bestimmung des Freibetrages maßgebenden Berechtigten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Schenkungsteuerbescheid vom 22.06.2015 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 14.09.2015 dahin zu ändern, dass die Schenkungsteuer unter Anwendung eines Freibetrages von 205.000 € (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 2008) festgesetzt wird.Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.Das FA ist der Auffassung, "entferntest Berechtigter" sei nicht nur der "entferntest lebende Berechtigte", sondern auch derjenige, der es erst nach Errichtung der Stiftung mit der Generationenfolge werde.
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