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Hinweis: Der Beitrag kann aufgrund neuerer Rechtsprechung oder Gesetztesänderung nicht mehr dem aktuellen Rechtsstand entsprechen.
25 Minuten Lesezeit (5054 Worte)

geschäftsleitende Holding - BFH, 23.09.2020, XI R 22/18

EuGH-Vorlage zum Vorsteuerabzug einer geschäftsleitenden Holding

BFH XI. Senat

EGRL 112/2006 Art 9 , EGRL 112/2006 Art 167 , EGRL 112/2006 Art 168 Buchst a , UStG § 2 , UStG § 15 Abs 1 Nr 1 , AO § 42 , AEUV Art 267 Abs 3 , UStG VZ 2013

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 19. April 2018, Az: 5 K 285/16

Leitsätze

1. Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des EuGH dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften "zwischengeschaltet" wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?

Tenor

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahin gehend auszulegen, dass einer geschäftsleitenden Holding, die steuerpflichtige Ausgangsumsätze an Tochtergesellschaften ausführt, das Recht auf Vorsteuerabzug auch für Leistungen, die sie von Dritten bezieht und gegen die Gewährung einer Beteiligung am allgemeinen Gewinn in die Tochtergesellschaften einlegt, zusteht, obwohl die bezogenen Eingangsleistungen nicht in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den eigenen Umsätzen der Holding, sondern mit den (weitgehend) steuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen, die bezogenen Eingangsleistungen in den Preis der (an die Tochtergesellschaften erbrachten) steuerpflichtigen Umsätze keinen Eingang finden und nicht zu den allgemeinen Kostenelementen der eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit der Holding gehören?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Stellt es einen Rechtsmissbrauch im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dar, wenn eine geschäftsleitende Holding derart in den Leistungsbezug von Tochtergesellschaften "zwischengeschaltet" wird, dass sie die Leistungen, für die den Tochtergesellschaften bei unmittelbarem Leistungsbezug kein Recht auf Vorsteuerabzug zustünde, selbst bezieht, in die Tochtergesellschaften gegen Beteiligung an deren Gewinn einlegt und anschließend unter Berufung auf ihre Stellung als geschäftsleitende Holding den vollen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen geltend macht, oder kann diese Zwischenschaltung durch außersteuerrechtliche Gründe gerechtfertigt werden, obwohl der volle Vorsteuerabzug an sich systemwidrig ist und zu einem Wettbewerbsvorteil von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen führen würde?

II. Das Revisionsverfahren wird bis zu einer abschließenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

Tatbestand

  • I. Sachverhalt

  • Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), deren Tätigkeit der Ankauf, die Verwaltung und die Verwertung von eigenem Grundbesitz sowie die Projektierung, Sanierung und Erstellung von Bauvorhaben aller Art ist. Gesellschafter waren im Jahr 2013 (Streitjahr) zu je 50 % A --zugleich alleiniger Geschäftsführer-- und B.

  • Die Klägerin war als Kommanditistin an den Unternehmen X-KG und Y-KG beteiligt. Beide Gesellschaften errichteten bestimmte Bauobjekte und veräußerten die einzelnen Wohneinheiten überwiegend umsatzsteuerfrei.

  • Die X-KG wurde 2006 in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gegründet. Seit dem 31.10.2012 bestand sie in der Form einer GmbH & Co. OHG mit der Klägerin und der Z-KG als Gesellschafter zu je 50 %. Mit Vertrag vom 31.01.2013 veräußerte die Z-KG nominell 44 % ihrer Beteiligung an die Klägerin. Außerdem wurde die Q Verwaltungs-GmbH als weitere Gesellschafterin aufgenommen. Mit gleichem Vertrag wechselte die X-KG ihre Rechtsform in eine GmbH & Co. KG mit der Q Verwaltungs-GmbH als Komplementärin und der Klägerin (nunmehr 94 % Anteile) und der Z-KG (nunmehr 6 % Anteile) als Kommanditisten. Die Einlage der Klägerin beträgt nach dem Gesellschaftsvertrag 940 €, die der Z-KG 60 €. Die Q Verwaltungs-GmbH hatte keine Einlage zu erbringen und hält keinen Kapitalanteil; sie ist nicht am Gewinn und Verlust beteiligt und besitzt keine Stimmrechte. Geschäftsführer der Q Verwaltungs-GmbH sind B und C. An der Z-KG sind weder A noch B oder ihnen nahestehende Personen, sondern Fremdinvestoren beteiligt.

  • Mit Ergänzungsvereinbarung vom 31.01.2013 zum Gesellschaftsvertrag der X-KG wurde vereinbart, dass die Z-KG ein Aufgeld in Höhe von 600.000 € als Gesellschafterbeitrag zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen für die von der X-KG erworbenen beziehungsweise (bzw.) zu erwerbenden Gebäude zu erbringen habe. Diese Dienstleistungen bestanden in Architektenleistungen, statischen Berechnungen, Planungen des Wärme- und Schallschutzes, Planungen der Energieversorgung, Planungen von Kabel- und Telefonanschlüssen, Generalunternehmer-Dienstleistungen ohne Lieferung der Materialien, Erschließungsdienstleistungen ohne Lieferung der Materialien und externe Vertriebsdienstleistungen für die zu erstellenden Objekte 1 und 2. Der Bruttogesamtverkehrswert dieser Dienstleistungen sollte mindestens 9,4 Millionen € betragen und damit mit dem von der Z-KG zu erbringenden Aufgeld im gleichen Verhältnis stehen wie die Beteiligungen an der X-KG. Diese Leistungen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal bzw. eigenen Geräten, teilweise mithilfe anderer Unternehmen.

  • Mit weiterem Vertrag vom 31.01.2013 vereinbarten die Klägerin und die X-KG, dass die Klägerin im Zusammenhang mit den Bauprojekten 1 und 2 zukünftig Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen für die X-KG erbringt. Dazu gehörten die Einstellung und Entlassung von Personal, der Materialeinkauf, die Aufstellung des Jahresabschlusses sowie die Wahrnehmung der steuerlichen Deklaration und Kommunikation gegenüber dem Finanzamt. Ausdrücklich ausgenommen aus den vereinbarten Geschäftsführungsleistungen waren jene Leistungen, die die Klägerin als Gesellschafterbeitrag zu leisten hatte. Als Entgelt für die zu erbringenden Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen sollte die Klägerin 12 € pro m² Wohn- oder Gewerbeflächen zuzüglich Umsatzsteuer erhalten; das Entgelt war in monatlichen Beträgen von 25.000 € zu zahlen.

  • Die Y-KG wurde mit Gesellschaftsvertrag vom 10.10.2012 gegründet. Komplementärin war die Q Verwaltungs-GmbH. Die Klägerin und die X-KG beteiligten sich mit Kapitalanteilen von 24.500 € (Klägerin; entspricht 49 % der Anteile) bzw. 25.500 € (X-KG; entspricht 51 % der Anteile) als Kommanditisten. Die Q Verwaltungs-GmbH hatte keine Einlage zu erbringen und hält keinen Kapitalanteil; sie ist nicht am Gewinn und Verlust beteiligt und besitzt keine Stimmrechte. Mit Vertrag vom 10.04.2013 verkaufte die X-KG einen Kapitalanteil von 20.320 € an die Klägerin (Beteiligung seitdem: 89,64 % der Anteile) und den restlichen Kapitalanteil an die E, die anschließend in P I GmbH umbenannt wurde. An der P I GmbH sind weder A noch B oder ihnen nahestehende Personen, sondern Fremdinvestoren beteiligt.

  • Mit Ergänzungsvereinbarung vom 10.04.2013 wurde vereinbart, dass die P I GmbH ein Aufgeld in Höhe von 3,5 Millionen € zu leisten und die Klägerin unentgeltliche Dienstleistungen für die von der Y-KG erworbenen bzw. zu erwerbenden Gebäude zu erbringen habe. Diese Dienstleistungen (gleicher Art wie für die X-KG) bezogen sich auf das Objekt 3. Der Bruttogesamtverkehrswert sollte mindestens 30,29 Millionen € betragen und damit mit dem von der P I GmbH zu erbringenden Aufgeld im gleichen Verhältnis stehen wie die Beteiligungen an der Y-KG. Diese Leistungen erbrachte die Klägerin teilweise mit eigenem Personal bzw. eigenen Geräten, teilweise mithilfe anderer Unternehmen.

  • Mit weiterem Vertrag vom 10.04.2013 vereinbarten die Klägerin und die Y-KG, dass die Klägerin im Zusammenhang mit dem Bauprojekt 3 zukünftig Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen (gleicher Art wie für die X-KG) für die Y-KG erbringt. Auch hier wurde als Entgelt ein Betrag von 12 € pro m² Wohn- oder Gewerbefläche zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart, das in monatlichen Beträgen von 25.000 € zu zahlen war.

  • Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) beanstandete die nicht zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Klägerin für das Jahr 2013, in denen sie den vollen Vorsteuerabzug aus ihren Eingangsleistungen vornahm, zunächst nicht. Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung wertete die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge der Klägerin für die X-KG und die Y-KG als nichtsteuerbare Tätigkeiten. Sie hätten nicht der Erzielung von Einnahmen in umsatzsteuerrechtlichem Sinne gedient und seien deshalb nicht der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin zuzuordnen. Vorsteuerbeträge, die direkt und unmittelbar mit diesen Tätigkeiten zusammenhängen, seien nicht abziehbar. Soweit die Klägerin gemischte Aufwendungen beziehe, die nicht unmittelbar und direkt die unentgeltlichen Gesellschafterbeiträge beträfen, seien die Vorsteuerbeträge um 18 % zu kürzen (Kürzungsbeträge: 4.925,73 €). Das FA erließ entsprechende Änderungsbescheide.

  • Am 20.02.2015 reichte die Klägerin die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2013 beim FA ein. Darin machte sie unter anderem abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 413.268,11 € geltend. Das FA erließ am 27.03.2015 einen Umsatzsteuer-Jahresbescheid; entsprechend den Feststellungen im Prüfungsbericht berücksichtigte es die Vorsteuern lediglich mit einem Betrag von 130.201,72 €. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 17.11.2016 als unbegründet zurückgewiesen.

  • Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die Nichtberücksichtigung der Vorsteuer aus Eingangsleistungen. Sie habe die Leistungen im Zusammenhang mit den Gesellschafterbeiträgen im Rahmen ihres Unternehmens von dritten Unternehmern bezogen, die dafür ordnungsgemäße Rechnungen im Sinne (i.S.) von § 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgestellt hätten. Ein Fall des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO) liege nicht vor.

  • Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seinem Urteil vom 19.04.2018 - 5 K 285/16 statt und berücksichtigte weitere Vorsteuern von 283.066,39 €. Die Klägerin könne die Umsatzsteuern aus dem Bezug von Dienstleistungen, die sie als Gesellschafterbeitrag an die X-KG und die Y-KG erbracht habe, in voller Höhe als Vorsteuern abziehen. Da die Beteiligung der Klägerin an der X-KG und Y-KG durch die Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung dieser Gesellschaften gegen Entgelt einhergehe, sei die Erbringung von Sachleistungen als Gesellschafterbeitrag Teil der unternehmerischen Tätigkeit der aktiven Beteiligungsverwaltung. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), nach der Sachleistungen, die der Einwerbung von Geldmitteln dienten, welche als Gesellschafterbeitrag in die Beteiligungsgesellschaften eingelegt wurden, als Teil der unternehmerischen Tätigkeit der Holdinggesellschaften angesehen wurden. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts liege nicht vor. Es lägen außersteuerrechtliche Gründe vor, die für sich betrachtet die gewählte Gestaltung rechtfertigen würden.

  • Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Es macht geltend, für die streitigen Leistungen, die von den entgeltlich zu erbringenden Geschäftsführungs- und Buchführungsleistungen zu unterscheiden seien, fehle es mangels Entgelt an einem Leistungsaustausch. Es handele sich somit um eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit. Es liege im Übrigen auch ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO vor. Durch die hier gewählte Gestaltung, die Leistungen durch die Gesellschafter unentgeltlich erbringen zu lassen, solle ein Vorsteuerabzug ermöglicht werden, der bei einer angemessenen wirtschaftlichen Gestaltung (Einkauf unmittelbar durch die Beteiligungsgesellschaft) nicht zu gewähren wäre.

  • Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  • Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  • II. Maßgebliche Rechtsvorschriften

  • 1. Nationales Recht

  • a) § 2 UStG lautet auszugsweise wie folgt:

    "(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

    (2) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt,

    1. soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind,

    2. wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. ..."

  • b) § 15 UStG lautet auszugsweise wie folgt:

    "(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

    1. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. ..."

  • c) § 42 AO lautet wie folgt:

    "(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

    (2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind."

  • 2. Unionsrecht

  • a) Art. 9 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Richtlinie 2006/112/EG) hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

    "(1) Als 'Steuerpflichtiger' gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

    Als 'wirtschaftliche Tätigkeit' gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen. ..."

  • b) Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG hat folgenden Wortlaut:

    "Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht."

  • c) Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG hat folgenden Wortlaut:

    "Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

    a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden; ...".

  • III. Beurteilung von Vorfragen

  • Es liegt keine umsatzsteuerrechtliche Organschaft vor (dazu unter 1.). Die Klägerin ist auch unternehmerisch tätig (dazu unter 2.) und die in den Eingangsleistungen enthaltene Umsatzsteuer könnte grundsätzlich bei den Ausgangsumsätzen geltend gemacht werden (dazu unter 3.).

  • 1. Eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft liegt nicht vor.

  • Es fehlt insbesondere an der organisatorischen Eingliederung i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG, da die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften X-KG und Y-KG nicht mit den Geschäftsführern der Klägerin identisch sind. Denn Geschäftsführer der Tochtergesellschaften ist jeweils die Q Verwaltungs-GmbH (vertreten durch B und C); alleiniger Geschäftsführer der Klägerin ist aber A.

  • 2. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen. Diese Vorschrift beruht auf Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG, wonach der Steuerpflichtige, der Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, befugt ist, die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden, von der von ihm geschuldeten Steuer abzuziehen (vergleiche --vgl.-- zum Beispiel --z.B.-- Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12.02.2020 - XI R 24/18, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFHE-- 268, 351, Rz 30).

  • a) Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck der Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen ist, ohne dass sie --unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin-- unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, keine Mehrwertsteuerpflichtige i.S. von Art. 9 der Richtlinie 2006/112/EG und somit nicht zum Vorsteuerabzug nach Art. 167 ff. der Richtlinie 2006/112/EG berechtigt. Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Aktien stellen für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Richtlinie 2006/112/EG dar, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würde, da diese Vorgänge nicht die Nutzung eines Gegenstands zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen beinhalten, weil das einzige Entgelt aus ihnen in einem etwaigen Gewinn beim Verkauf dieser Aktien liegt (vgl. EuGH-Urteile Larentia + Minerva vom 16.07.2015 - C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496, Rz 18 f.; Marle Participations vom 05.07.2018 - C-320/17, EU:C:2018:537, Rz 27 f.; Ryanair vom 17.10.2018 - C-249/17, EU:C:2018:834, Rz 16; C&D Foods Acquisition vom 08.11.2018 - C-502/17, EU:C:2018:888, Rz 30; EuGH-Beschluss MVM vom 12.01.2017 - C-28/16, EU:C:2017:7, Rz 30 f.; jeweils mit weiteren Nachweisen --m.w.N.--; BFH-Urteil in BFHE 268, 351, Rz 31).

  • b) Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die finanzielle Beteiligung an einem anderen Unternehmen unbeschadet der Rechte, die dem Anteilseigner in seiner Eigenschaft als Aktionär oder Gesellschafter zustehen, mit unmittelbaren oder mittelbaren Eingriffen in die Verwaltung der Gesellschaft einhergeht, an der die Beteiligung begründet worden ist, soweit ein solcher Eingriff die Vornahme von Umsätzen einschließt, die gemäß Art. 2 der Richtlinie 2006/112/EG der Mehrwertsteuer unterliegen, wie die Erbringung von administrativen, buchführerischen, finanziellen, kaufmännischen, der Informatik zuzuordnenden und technischen Dienstleistungen (vgl. EuGH-Urteile Larentia + Minerva, EU:C:2015:496, Rz 20 f.; Marle Participations, EU:C:2018:537, Rz 29 f.; C&D Foods Acquisition, EU:C:2018:888, Rz 32; EuGH-Beschluss MVM, EU:C:2017:7, Rz 32 f.; jeweils m.w.N.; BFH-Urteil in BFHE 268, 351, Rz 32). Auch die Überlassung von Personal der Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft gegen Erstattung der Kosten kann ein Umsatz sein (vgl. EuGH-Urteil San Domenico Vetraria vom 11.03.2020 - C-94/19, EU:C:2020:193).

  • Dabei handelt es sich nicht um eine abschließende Aufzählung; der Begriff "Eingriff einer Holding in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaft" ist dahin zu verstehen, dass er alle Umsätze umfasst, die eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S. der Mehrwertsteuersystemrichtlinie darstellen und von der Holding für ihre Tochtergesellschaft erbracht werden (vgl. EuGH-Urteil Marle Participations, EU:C:2018:537, Rz 31 f.; BFH-Urteil in BFHE 268, 351, Rz 33).

  • c) Die Klägerin hat entgeltliche Leistungen in Form von Buchführungs- und Geschäftsführungsleistungen an ihre Tochtergesellschaften X-KG und Y-KG als Ausgangsleistungen erbracht und ist daher Unternehmerin. Dies ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig.

  • 3. Der Klägerin steht daher an sich der volle Vorsteuerabzug aus den von ihr bezogenen Eingangsleistungen zu.

  • a) Ein Recht auf Vorsteuerabzug zugunsten des Steuerpflichtigen wird auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und --als solche-- Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen (vgl. EuGH-Urteile Larentia + Minerva, EU:C:2015:496, Rz 23; Cibo Participations, EU:C:2001:495, Rz 31; Portugal Telecom vom 06.09.2012 - C-496/11, EU:C:2012:557, Rz 36; Ryanair, EU:C:2018:834, Rz 31; Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments vom 14.09.2017 - C-132/16, EU:C:2017:683‚ Rz 29; Vos Aannemingen vom 01.10.2020 - C-405/19, EU:C:2020:785, Rz 26; EuGH-Beschluss MVM, EU:C:2017:7, Rz 39; BFH-Urteil in BFHE 268, 351, Rz 60).

  • So gehören nach ständiger Rechtsprechung die Kosten einer in die Verwaltung einer Tochtergesellschaft eingreifenden Holdinggesellschaft für die verschiedenen im Rahmen einer Beteiligung an dieser Tochtergesellschaft erworbenen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen und sind als solche Kostenelemente seiner Leistungen. Sie hängen somit grundsätzlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit der Holdinggesellschaft zusammen. Dabei ist das Vorsteuerabzugsrecht zu gewährleisten, ohne dieses an ein Kriterium wie Ort, Zweck oder Ergebnis der Wirtschaftstätigkeit des Steuerpflichtigen zu knüpfen (EuGH-Urteil Marle Participations, EU:C:2018:537, Rz 43 f., m.w.N.). Insofern ist auch der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit oder deren Erfolg grundsätzlich unerheblich (vgl. BFH-Urteil in BFHE 268, 351, Rz 61, m.w.N.).

  • b) Soweit die unterschiedlichen Eingangsleistungen bereits vor der Erbringung der steuerpflichtigen Ausgangsleistungen im Streitjahr erbracht wurden, sind sie bereits der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzuordnen. Denn auch vorbereitende Tätigkeiten können der wirtschaftlichen Tätigkeit zugeordnet werden. Jeder, der die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig auszuüben, und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt, gilt als Steuerpflichtiger (EuGH-Urteil Ryanair, EU:C:2018:834, Rz 18 f., m.w.N.).

  • IV. Zur Anrufung des EuGH

  • Es ist jedoch i.S. des Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zweifelhaft, ob die Klägerin die Vorsteuer deshalb nicht abziehen kann, weil sie die Eingangsleistungen bezogen hat, um sie in die Tochtergesellschaften einzulegen und diese Leistungen in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften stehen.

  • Zur ersten Vorlagefrage

  • 1. Es ist deshalb fraglich, ob die Klägerin die Eingangsleistungen, die sie als Gesellschafterbeitrag an die X-KG und die Y-KG weitergibt, für ihr Unternehmen bezogen hat und die Aufwendungen dafür zu ihren "Allgemeinkosten" (den Kostenelementen ihrer besteuerten Ausgangsumsätze "Buchhaltung und Geschäftsführung für die Tochtergesellschaften") gehören.

  • a) Diese Fragestellung folgt aus dem (einen Vorsteuerabzug versagenden) EuGH-Urteil C&D Foods Acquisition (EU:C:2018:888, Rz 37 ff.). Denn nach Auffassung des EuGH kann für den Vorsteuerabzug der ausschließliche Entstehungsgrund des fraglichen Umsatzes berücksichtigt werden. So wäre im Fall C&D Foods Acquisition eine Aktienveräußerung durch die Holding nur dann in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer gefallen, wenn sie ihren ausschließlichen unmittelbaren Entstehungsgrund in der steuerbaren wirtschaftlichen Tätigkeit der Muttergesellschaft gehabt oder eine unmittelbare, dauerhafte und notwendige Erweiterung dieser Tätigkeit dargestellt hätte. Da der Zweck der Aktienveräußerung jedoch darin lag, den Erlös aus der Veräußerung zur Tilgung der gegenüber der neuen Eigentümerin bestehenden Verbindlichkeiten zu verwenden, hat der EuGH dies verneint. Die Veräußerung stelle keinen Umsatz dar, der darin besteht, nachhaltig Einnahmen aus Tätigkeiten, die über den bloßen Verkauf von Aktien hinausgehen, zu erzielen, und falle damit nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer. Daraus folge, dass die auf die dort streitigen Eingangsleistungen entfallende Mehrwertsteuer nicht abzugsfähig sei. Implizit hat der EuGH damit auch verneint, dass (bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs) die Kosten für die fraglichen Eingangsleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen der dortigen Klägerin gehörten und --als solche-- Kostenelemente der gelieferten Gegenstände bzw. erbrachten Dienstleistungen waren.

  • b) Der EuGH hat des Weiteren auch in den "Nicht-Holding-Fällen" The Chancellor, Masters and Scholars of the University of Cambridge vom 03.07.2019 - C-316/18 (EU:C:2019:559, Rz 26, 27, 29, 31 f.), Vos Aannemingen (EU:C:2020:785, Rz 39) und Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments (EU:C:2017:683, Rz 39) den Vorsteuerabzug als Gemeinkosten unter bestimmten Umständen versagt.

  • aa) Im Fall The Chancellor, Masters and Scholars of the University of Cambridge verneinte der EuGH den Vorsteuerabzug für Kosten einer Kapitalanlage als Gemeinkosten, weil Umsätze, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuersystemrichtlinie fallen, oder solche, die von der Mehrwertsteuer befreit sind, kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen und die Kapitalanlage eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit sei. Kosten der Eingangsleistungen, die wie dort keinen Eingang in den Preis bestimmter Ausgangsumsätze oder in den Preis der Gegenstände oder Dienstleistungen finden, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit liefert bzw. erbringt, berechtigen nach Auffassung des EuGH nicht zum Vorsteuerabzug.

  • bb) Im Fall Vos Aannemingen verneinte der EuGH den Vorsteuerabzug für Kosten als Gemeinkosten, die einem Dritten zugutekommen für den Fall, dass diese Ausgaben nicht mit den Umsätzen des Steuerpflichtigen, sondern mit solchen eines Dritten zusammenhängen. Dienen sie Zwecken der von Dritten bewirkten Umsätze, wäre der direkte und unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen Dienstleistungen und den besteuerten Umsätzen dieses Unternehmens teilweise unterbrochen, so dass das Unternehmen die auf diesen Teil der Ausgaben entfallende Mehrwertsteuer nicht abziehen dürfe.

  • cc) Im Fall Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments verneinte der EuGH den Vorsteuerabzug für Kosten als Gemeinkosten, die über den allein durch die von Iberdrola errichteten Gebäude erzeugten Bedarf hinausgingen. Die Kosten, die in Bezug auf den Teil der für die Instandsetzung der Abwasserpumpstation angefallenen Kosten entrichtet wurden, der nicht objektiv notwendig ist, damit Iberdrola ihre besteuerten Umsätze ausführen kann, würden nicht im direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Dienstleistung und dem besteuerten Ausgangsumsatz von Iberdrola stehen.

  • c) Dem folgend hat der BFH mit Urteil vom 06.04.2016 - V R 6/14 (BFHE 253, 456, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 2017, 577) den Vorsteuerabzug einer Holding versagt, weil das eingeworbene Kapital nicht im Zusammenhang mit den Kosten der Beteiligung oder den an die Tochtergesellschaft erbrachten Leistungen standen.

  • d) Im Streitfall ist daher nicht ausgeschlossen, dass auch nach der Rechtsprechung des EuGH der Vorsteuerabzug zu versagen ist. Die Leistungen könnten nicht für das Unternehmen der Klägerin und ihre besteuerten Umsätze bezogen sein, da sie in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit den (weitgehend) umsatzsteuerfreien Tätigkeiten der Tochtergesellschaften stehen. Die Klägerin könnte die Leistungen letztlich nicht für ihr eigenes Unternehmen bezogen haben, sondern für die Unternehmen ihrer Töchter. Sie stünden dann im Zusammenhang mit den steuerfreien Umsätzen der Tochtergesellschaften. Wenn die Klägerin den Einkauf für die jeweilige Tochter auf eigene Rechnung übernimmt und anschließend die eingekauften Leistungen in ihre Tochter einlegt, könnte in einem solchen "Durchleitungs"-Fall der Leistungsbezug für das Unternehmen der Klägerin zu verneinen sein; denn mit den von der Klägerin an die Töchter erbrachten Leistungen oder ihrer eigenen Stellung als geschäftsleitende Holding hätte dies nichts zu tun. Die Aufwendungen für die bezogenen Leistungen sind auch keine Kostenelemente der von der Klägerin erbrachten Dienstleistungen (Buchhaltung und Geschäftsführung) oder Teil der allgemeinen Aufwendungen, sondern bestimmten Ausgangsumsätzen der Tochtergesellschaften zuzuordnen. Die Bemessungsgrundlage der Umsätze an die Tochtergesellschaften ist von den geleisteten Gesellschafterbeiträgen und deren Höhe unabhängig. Sie beeinflussen "nur" die Höhe des der Klägerin zustehenden Gewinns.

  • Zur zweiten Vorlagefrage

  • 2. Sollte der EuGH der Auffassung sein, dass die streitigen Eingangsleistungen zur Erbringung der Gesellschafterbeiträge trotzdem zum Vorsteuerabzug berechtigen, so ist für das vorlegende Gericht zweifelhaft, ob die Zwischenschaltung einer Muttergesellschaft in den Leistungsbezug der Tochtergesellschaft zur Erlangung eines an sich nicht zustehenden Vorsteuerabzugs typischerweise rechtsmissbräuchlich ist.

  • a) § 42 AO ist bei der Umsatzsteuer bereichsspezifisch im Sinne der sogenannten (sog.) Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH auszulegen (vgl. BFH-Urteile vom 11.04.2013 - V R 28/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH/NV-- 2013, 1638, Rz 28; vom 16.06.2015 - XI R 17/13, BFHE 250, 470, BStBl II 2015, 1024, Leitsatz 4 und Rz 34 ff.; vom 09.09.2015 - XI R 21/13, BFH/NV 2016, 597, Rz 34; BFH-Beschluss vom 23.07.2019 - XI B 29/19, BFH/NV 2019, 1363, Rz 22).

  • aa) Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (und damit auch i.S. des § 42 AO) erfordert daher zum einen, dass die fraglichen Umsätze --trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern bzw. der Richtlinie 2006/112/EG und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts-- einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde; zum anderen muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird (vgl. EuGH-Urteile Halifax u.a. vom 21.02.2006 - C-255/02, EU:C:2006:121, Rz 74 ff.; Cussens u.a. vom 22.11.2017 - C-251/16, EU:C:2017:881, Rz 53 und 70; siehe auch EuGH-Urteil T Danmark und Y Denmark vom 26.02.2019 - C-116/16 und C-117/16, EU:C:2019:135, Rz 97).

  • bb) Die Beurteilung, ob ein Rechtsmissbrauch in diesem Sinne vorliegt, erfordert eine tatsächliche Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls durch das FG, die in den Grenzen des § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für den BFH bindend ist (vgl. BFH-Urteile vom 19.01.2016 - XI R 38/12, BFHE 252, 516, BStBl II 2017, 567, Rz 45; vom 28.06.2017 - XI R 12/15, BFHE 258, 532, Rz 66). Im Streitfall hat das FG angenommen, dass außersteuerrechtliche Gründe vorliegen. Hieran ist der Senat gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO).

  • b) Es stellt sich aber aus Sicht des vorlegenden Senats die Frage, ob es sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens um eine Konstellation handelt, in denen aus Gründen der Systematik der Richtlinie 2006/112/EG und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen (zur Vermeidung einer Bevorzugung von Holding-Konstruktionen gegenüber einstufigen Unternehmen) typischerweise von einem Missbrauch auszugehen ist, auch wenn der Steuerpflichtige sich auf (angebliche) außersteuerrechtliche Gründe beruft.

  • aa) Auf nationaler Ebene führte in Fällen der steuerpflichtigen Vermietung eines Gebäudes an einen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Mieter die (jedenfalls im Bereich des § 27 Abs. 2 UStG noch aktuelle) sog. Vorschalt-Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 09.11.2006 - V R 43/04, BFHE 215, 379, BStBl II 2007, 344, unter II.3.a cc und II.3.b aa, Rz 43 ff., 54; vom 01.03.2018 - V R 35/17, BFHE 261, 380, Rz 13; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 9 Rz 143, 154 f.; zur Übertragbarkeit auf das Verhältnis von Gesellschafter und Gesellschaft siehe BFH-Urteil vom 18.12.1996 - XI R 12/96, BFHE 182, 395, BStBl II 1997, 374, unter II.3.a bb, Rz 33) in vielen Fällen zur Anwendung des § 42 AO.

  • bb) Der Gesetzgeber hat später mit § 9 Abs. 2 UStG eine gesetzliche Regelung zum typisierten Ausschluss von Vorschalt-Optionen geschaffen, ohne dass es noch auf eine Einzelfall-Prüfung ankäme.

  • c) Im Streitfall geschieht wirtschaftlich gesehen dasselbe wie in den Vorschalt-Fällen, so dass ein sog. Missbrauch in Betracht käme. Die Muttergesellschaft soll durch Zwischenschaltung einen Vorsteuerabzug erhalten, der ihr bei unmittelbarem Leistungsbezug nicht zustünde (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 15 Rz 238).

  • d) Sollte der EuGH eine solche Gestaltung nicht als missbräuchlich ansehen oder sollten die vom FG als Vorinstanz festgestellten Umstände als außersteuerrechtliche Gründe das Vorliegen eines sog. Missbrauchs ausschließen können, besteht die Gefahr, dass es in Fällen, in denen die Tochtergesellschaft nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, zu einer neuen "Vorschalt-Welle" bei Steuerpflichtigen kommt. Zukünftig würde nicht mehr nur (wie in den Altfällen des § 27 UStG) an sie steuerpflichtig vermietet, sondern es würden Holdings in ihren gesamten Leistungseinkauf "ein"-, "vor"- bzw. "zwischengeschaltet". Ein oder mehrere Leistungen würden mit einem (zu Recht) niedrigen Entgelt an die Tochter erbracht und daneben der Großteil der "teuren" Leistungen unentgeltlich erbracht (= in die Tochter eingelegt). Die Holding erhielte trotzdem den vollen Vorsteuerabzug für alle Eingangsleistungen, obwohl die meisten mit ihren entgeltlichen Umsätzen nichts zu tun haben, und es würde damit ein Vorsteuerabzug erreicht, den bei unmittelbarer Leistungserbringung weder die Mutter noch die Tochter hätte.

  • Dies wäre auch dann nicht systemgerecht, wenn außersteuerrechtliche Gründe für die "Zwischenschaltung" bestehen und würde Holdings einen Wettbewerbsvorteil gegenüber einstufigen Unternehmen verschaffen, bei denen der Vorsteuerabzug versagt wird.

    V.

  • Die Vorlagefragen sind auch entscheidungserheblich.

  • 1. Steht der Klägerin als geschäftsleitender Holding an sich der volle Vorsteuerabzug zu und wäre die Vorlagefrage 1 zu bejahen und die Vorlagefrage 2 zu verneinen, wäre die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen. Wäre die Vorlagefrage 1 zu verneinen oder die Vorlagefrage 2 zu bejahen, ist die Revision des FA begründet und unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

  • 2. Der Senat hat erwogen, ob nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils Amărăşti Land Investment vom 19.12.2019 - C-707/18 (EU:C:2019:1136, Tenor Ziffer 2 und Rz 36 ff., m.w.N.) eine entgeltliche Leistungserbringung der Klägerin an ihre Tochtergesellschaften i.S. von § 3 Abs. 11 UStG, Art. 28 der Richtlinie 2006/112/EG anzunehmen sein könnte. Allerdings hat die Klägerin die bezogenen Leistungen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage als Gesellschafterin gegen Beteiligung am Gewinn in die Tochtergesellschaften erbracht, was aus Sicht des vorlegenden Senats ein Handeln der Klägerin auf fremde Rechnung (der Tochtergesellschaften) insoweit ausschließt. Sofern der EuGH diese Einschätzung nicht teilen sollte, bittet der Senat um einen entsprechenden Hinweis.

    VI.

  • Die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des EuGH beruht auf § 74 in Verbindung mit § 121 Satz 1 FGO.

 

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Donnerstag, 28. März 2024

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