BFH VIII. Senat
AO § 88 , AO § 129 S 1
vorgehend FG Düsseldorf, 16. Februar 2017, Az: 14 K 3554/14 E
Leitsätze
1. Sind vom Steuerpflichtigen in seiner Steuererklärung angegebene Einkünfte im Einkommensteuerbescheid nicht berücksichtigt worden, weil die Anlage S zur Einkommensteuererklärung versehentlich nicht eingescannt und die angegebenen Einkünfte somit nicht in das elektronische System übernommen wurden, liegt ein mechanisches Versehen und somit grundsätzlich eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 AO vor.
2. Ein mechanisches Versehen ist nicht mehr gegeben, sondern es liegt ein Fehler im Bereich der Sachverhaltsermittlung nach § 88 AO vor, wenn der Sachbearbeiter eine weitere Sachverhaltsermittlung unterlässt, obwohl sich ihm aufgrund der im Rahmen des Risikomanagementsystems ergangenen Prüf- und Risikohinweise eine weitere Prüfung des Falles hätte aufdrängen müssen.
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 16.02.2017 - 14 K 3554/14 E und der Bescheid des Beklagten vom 09.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.10.2014 aufgehoben.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
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Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid wegen einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) berichtigt werden durfte.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), die seit dem …2010 verheiratet sind, wurden im Streitjahr (2010) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Am 21.12.2011 reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung auf dem amtlichen Vordruck beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. Die Erklärung, mit der die Kläger erstmals die Zusammenveranlagung beantragten, enthielt u.a. Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 128.641 € sowie Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin in Höhe von 28.552 €.
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Im Veranlagungsbezirk des FA wurde die Einkommensteuererklärung eingescannt und deren Daten wurden automatisiert in das elektronische System übernommen. Hierbei wurde die Anlage S zur Einkommensteuererklärung versehentlich nicht eingescannt, so dass eine Erfassung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers unterblieb.
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Nach maschineller Überprüfung der eingescannten Daten im Rahmen eines Risikomanagementsystems gingen im Veranlagungsbezirk folgende Prüf- und Risikohinweise ein:
"PHW 4706: Da der Ehemann/die Ehefrau Einkünfte von weniger als 4.200 € erzielt hat, ist zu prüfen, ob er/sie ggf. ohne eigene Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert ist und der verringerte Höchstbetrag zu den sonstigen Vorsorgeaufwendungen ... einzugeben ist. ...
RHW 1577: ... Es wurden abweichende Erklärungswerte gespeichert. Der Fall wird daher als risikobehaftet gezählt.
RHW 5401: ... Es handelt sich um eine Zusammenveranlagung. Im Vorjahr erfolgte eine Einzelveranlagung bzw. getrennte Veranlagung. Der Risikofilter kann keine zutreffenden Vorjahresvergleiche durchführen. Der Fall ist personell zu prüfen. Ggf. unter einer anderen Steuernummer festgesetzte Vorauszahlungen sind umzubuchen".
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Die Sachbearbeiterin versah den Prüfhinweis mit dem handschriftlichen Vermerk "EM = Eink. § 18 EStG" und die Risikohinweise jeweils mit einem Haken. In der für den Kläger geführten Bilanzakte nahm sie unterhalb der Angabe "Jahresüberschuss nach Steuerrecht 128.641,00 €" einen weiteren handschriftlichen Vermerk zu einem Investitionsabzugsbetrag vor. Ferner trugen die Sachbearbeiterin und der Sachgebietsleiter in der "Anlage Finanzamtsdaten" geänderte Werte zu den Vorsorgeaufwendungen ein.
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Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 10.01.2012 blieben die Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Klägers unberücksichtigt. Erst bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen für das Folgejahr stellte der Sachbearbeiter die Nichterfassung der Einkünfte fest. Daraufhin erging am 09.05.2014 ein nach § 129 Satz 1 AO entsprechend geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr.
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Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1315 veröffentlichtem Urteil ab.
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Das FG war der Auffassung, dass das FA wegen Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit befugt gewesen sei, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid gemäß § 129 Satz 1 AO zu berichtigen, da die Bearbeitung der Prüf- und Risikohinweise nicht zu einer neuen Willensbildung geführt, sondern den Fehler beim Einscannen lediglich perpetuiert habe.
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Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
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Sie sind der Auffassung, es liege ein Fehler im Bereich der Sachverhaltsermittlung vor. Obwohl aufgrund der Prüf- und Risikohinweise ein konkreter Anlass zur Überprüfung der eingescannten Steuererklärung bestanden habe, sei bewusst auf einen Abgleich der Daten mit der eingereichten Steuererklärung verzichtet worden. Die Nichtberücksichtigung der selbständigen Einkünfte des Klägers beruhe auf der durch das Risikomanagement vorgegebenen Arbeitsweise, die geradezu billigend in Kauf nehme, dass Steuerfälle oberflächlich und damit auch fehlerhaft bearbeitet würden.
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Die Kläger beantragen,
das Urteil des FG vom 16.02.2017 - 14 K 3554/14 E sowie den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 09.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.10.2014 aufzuheben. -
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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